Nach 19 Jahren an der Spitze des Justinuswerks wird Marco Cattaneo am 1. August 2025 die Direktion der katholischen Institution, die sich der Weiterbildung von Studierenden des Südens verschrieben hat, abgeben. Für cath.ch blickt er auf dieses menschliche, soziale und politische Abenteuer zurück, das von einem unerschütterlichen Glauben an die Vorsehung geprägt war.
«Ich bin beim Justinuswerk in einer ziemlich komischen Art eingetreten oder besser gesagt, in vorseherischer Weise», erzählt Marco Cattaneo. „Ich befand mich am Rand des Schwimmbeckens der Motta in Freiburg, als ich von Jacques Piller angesprochen wurde, der Vize-Präsident des Justinuswerkes war. ‚Wärst du interessiert daran, die Direktion einer wichtigen katholischen Institution zu übernehmen?‘ Ich sagte nicht nein, und so war ich einverstanden, mich für den Posten zu bewerben. Ich wusste nichts vom Justinuswerk, nicht einmal, dass es existierte. Nach ein paar Vorstellungsgesprächen wurde ich von Mgr Bernard Genoud, Präsident des Justinuswerkes und Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, eingestellt. Er wusste, was er tat, denn als Seelsorger des Teams Notre-Dame kannte er mich gut.“
Am 1. September 2006 steigt Marco also in einen Bereich ein, von dem er fast nichts weiss. Er stammt nicht aus akademischen und universitären Kreisen. Sein früherer Job in einem Musikverlag und Kino hatte ihn nicht darauf vorbereitet, in einem katholischen Umfeld zu arbeiten. Er gibt heute zu: «Ich hatte nicht vor, lange zu bleiben.»
Was hat mich einhaken lassen? Mein Vorgänger, Nicolas Scherer, hatte auf dem Pult eine Beige von Akten hinterlassen. «Das sind die Unterlagen der Stipendiaten. Sieh sie dir an!» Als ich sie durchlas, war ich betroffen von dem Willen und der Entschlossenheit dieser Personen, die sich weiterbilden wollten, um an der Zukunft ihres Landes zu schmieden und es voranzubringen. Ich hatte die Mission von St-Justin verstanden!
Wenige Monate nach seiner Ankunft hat Marco Cattaneo Gelegenheit, das neue Gebäude für die Vorbereitungskurse auf ein Hochschulstudium in der Schweiz (VKHS) einzuweihen, welches auf dem Gebiet von St-Justin in Freiburg erbaut wurde. «Das war eine Startrampe. Mit einer Einweihung zu beginnen, war ein starkes Symbol, umso mehr, da das VKHS der erste Ort war, wo die ausländischen Studierenden nach ihrer Ankunft in der Schweiz ankamen.»
Eine erste Baustelle des Direktors war die Personalverwaltung. «Der vorherige Direktor hatte einen eher autoritären Stil durchgesetzt, mit vielen Kontrollen. Ich wollte das nicht. Es war mir wichtig, mehr Verantwortung und Vertrauen einzuführen. Dies benötigte einige Zeit.» Gleichzeitig möchte Marco Cattaneo auch seiner Familie danken, die «akzeptiert hat, dass ich einen bequemen und gut bezahlten Posten aufgab für einen anspruchsvolleren Dienst. Aber meine Angehörigen hängten sich ebenfalls rein.»
Die hauptsächliche Lernerfahrung war die, dem Ausländer zu begegnen, von dem man weder die Kultur noch den Werdegang kennt. «Ich musste mich dem anderen öffnen. Der Austausch hat mich wachsen lassen. Der Begriff von Menschenwürde, der im europäischen Kontext offensichtlich zu sein scheint, bekam für mich einen anderen Sinn. Es ist eine andere Achtung des Menschen, das nicht an seine Leistung oder seinen Erfolg gebunden ist, sondern an seine Person selbst. Die Unterstützung von St-Justin geht an die Ärmsten, nicht zwingend an die Klassenbesten. Der Blick, den man in der Lage ist, auf eine Person zu werfen, kann vieles verändern.»
Als Direktor ist Marco Cattaneo auch oft Vertrauensperson für die Freuden und Nöte der Studierenden und der Bewohner der Site, Frauen und Männer. «Nicht wenige nennen mich ‘Papa’ und ich habe zahlreiche Kontakte mit den Ehemaligen.»
Ein Vater, der auch wissen muss, die Ordnung aufrecht zu erhalten und durchgreift, wenn nötig. «Ich war dazu gezwungen, auch, wenn es manchmal hart war, jemanden zu entlassen oder ein Stipendium zu stornieren. Aber es geht um die Glaubwürdigkeit von St-Justin.» Für den Direktor drückt sich der Respekt auch durch kleine Dinge aus, wie Ordnung im Haus, Sauberkeit der Lokalitäten, Pünktlichkeit, Höflichkeit. Es gibt nicht nur das Studium. Es ist wortwörtlich Erziehungsarbeit, diejenige, die erwachsen macht.
Der Empfang von ausländischen Studenten ist auch mit den immer strikteren Regeln der kantonalen und nationalen Immigrationsdiensten konfrontiert. «Das Abwarten eines Visums, einer Aufenthaltsbewilligung oder deren Verlängerung ist oft eine Prüfung und ein Leiden. Ich habe verstanden, dass ich mich für sie einsetzen musste. Ich habe einiges an Zeit aufgewendet, mit den verantwortlichen Instanzen zu diskutieren, mit einigem Erfolg, aber auch Enttäuschungen. So wie beim Entscheid des Bundes das VKHS zu schliessen. Das war herzzerbrechend, obwohl eine zufriedenstellende Lösung für das Gebäude gefunden wurde, welches nun der Universität angehört.»
Von Abbé François Charrière gegründet, im Jahr 1927, (der anschliessend Bischof von GLF wird) um Studierende aus Asien zu empfangen, behält das Justinuswerk seine religiöse DNA bei. Sie trägt zur Ausbildung in Theologie, von Priestern, Nonnen und Laien bei. Aber von Beginn an unterstützt sie auch Studierende von allen Fachrichtungen: Recht, Gesundheit, Erziehung, Wissenschaften und Wirtschaft.
Seit einiger Zeit finanziert das Justinuswerk auch Studienstipendien in den Ländern des Südens. Heute verfügt eine wachsende Anzahl von Ländern über adäquate Lehrinstitutionen. «Ein Stipendium in der Schweiz kostet pro Jahr ungefähr 20’000.– CHF. Im Süden sind es eher 1500.– bis 2’000.– CHF. Wir können so mehr Personen unterstützen und wir verhindern Probleme, die sich aus der Entwurzelung ergeben.»
«Bei meiner Ankunft, war das Justinuswerk ein etwas «geschlossenes Gefäss». Man musste es für die Stadt und für die Bevölkerung öffnen.» Eine der ersten Massnahmen war es, den Zugang zur Kapelle einsehbarer zu gestalten. Das Justinuswerk empfängt jedes Jahr zahlreiche öffentliche Veranstaltungen: Konferenzen, Konzerte, Musikfest, Quartieraperos, Pilgernde zur heiligen Rita, usw. In Begleitung der Stipendiaten stellte ich das Justinuswerk des Öfteren in den Pfarreien vor.
Das Restaurant des Justinuswerkes war lange Zeit der soziale Nerv der Cité. Öffentlich zugänglich, war es ein geschätzter Treffpunkt. Als es aus Gründen der Wirtschaftlichkeit geschlossen werden musste, war dieser Entscheid sehr schmerzlich für mich.»
Renovationen, Transformationen, Vergrösserungen: Marco Cattaneo hatte oft auch die Rolle eines Erbauers inne. Das Erbe der Cité zu erhalten und sie funktional zu gestalten war eine dauernde Herausforderung.
Die letzte grosse Baustelle war für Marco Cattaneo die Umwandlung der rechtlichen Struktur des Justinuswerkes.
Im Lauf der Geschichte war jedes Studentenheim (Freiburg, Zürich und Genf) von einer unabhängigen Vereinigung abhängig, die von Freiwilligen verwaltet wurde.
In Anbetracht der Komplexität der Arbeit, der wichtigen, finanziellen Herausforderungen und der Schwierigkeit, kompetentes Personal zu finden, war diese Situation untragbar geworden.
Nach drei Jahren Diskussion, von rechtlichen und administrativen Schritten, ist das Justinuswerk seit 2024 eine als gemeinnützig anerkannte Stiftung.
Für die Zukunft sieht Marco Cattaneo zwei hauptsächliche Herausforderungen. Die erste ist, die Beziehung zu den Migrationsbehörden zu verstärken, um auf die Stolpersteine bei einer Weiterbildung für die ausländischen Studenten aufmerksam und sie für die Behörde verständlich zu machen. Dies ist auch ganz klar im Interesse der Universitäten und Hochschulen. «Die Anfrage wird nicht weniger. Aber sie spezialisiert sich. Heute haben wir mehr Anfragen für Doktorate oder für Fachrichtungen, für die die Schweizer Hochschulen an der Spitze sind, wie für die internationalen Beziehungen.»
Das Fundraising ist die andere grosse Herausforderung. «Unsere Spenderinnen und Spender werden älter. Man muss sie ständig erneuern, indem man erfinderisch und kreativ sein muss.»
Im Jahr 2027 wird das Justinuswerk, bzw. die Stiftung seine 100-jährige Existenz feiern. «Aber das ist Sache der neuen Direktion», schliesst Marco Cattaneo.
Die Wahl von Papst Leo XIV lässt den Augustinerorden in den Vordergrund rücken, bei dem er während 12 Jahren Generalprior war. Es zeigt sich, dass die Augustiner eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Justinuswerkes spielten.
Mgr François Charrière, Gründer des Werkes, wurde 1945 Bischof von LGF und vertraute im Jahr 1951 die Verantwortung den Augustinerpatern an. Diese nahmen die Sache in die Hände, um das Werk wieder in Gang zu bringen, welches während des zweiten Weltkriegs in einen Dornröschenschlaf gefallen war.
Die Erbauung neuer Gebäude, die Eröffnung der Studentenheime in Zürich (1954) und Genf (1970) trugen zur starken Entwicklung des Werkes bei. Im Jahr 1982 übertrugen die Augustiner die Direktion den Missionaren von Bethlehem Immensee. Bis zur Ankunft eines neuen säkularen Direktors im Jahr 1997.